Auf der Landkarte findet man sie 50 Grad 14 Min. nördlich vom Äquator und 16 Grad 38 Min. östlich von Greenwich. Unsere beiden Heimatorte gehörten geographisch wie auch geschichtlich zu Sudetenschlesein. Dies war der Teil Schlesiens, der nach dem dritten schlesischen Krieg zwischen Friedrich II. von Preußen ("Friedrich dem Großen") und Kaiserin Maria Theresia von Österreich (1756 - 1763) bei Österreich blieb.
Niederlindewiese liegt westlich von Freiwaldau in einem anfänglich breiten, dann sich verengenen Tal an der Straße zum Ramsauer Sattel. Oberlindewiese beginnt in unittelbarer Fortsetzung von Niederlindewiese. Ramsau (755 m) finden wir direkt auf dem nach der Ortschaft benannten Sattel an der Straße zwischen Lindewiese und Goldenstein.
Das Gebiet um Freiwaldau nannte man die "Perle der Sudeten". Von welcher Seite man sich Lindewiese auch näherte, ob staritzaufwärts von Freiwaldau her oder entgegengesetzt vom Ramsauer Sattel her oder im Süden vom Hochscharmassiv oder im Norden vom Hirschbadkamm herunterstieg, immer wieder bot sich eine schöne, kaum zu beschreibende Landschaft im Blickfeld des Wanderers. Im Tal selbst fand man schmucke Häuser, im Kurrayon beeindruckten die größeren, gepflegten Kurhäuser mit dem Kurpark, zwischendurch fand man aber auch Zeugen eines soliden Handwerks und Handels. Verkehrsmäßig war für die damalige Zeit der Ort als Eisenbahnknotenpunkt bekannt. Hier zweigt von der Bahnlinie Hannsdorf - Ziegenhals eine Linie nach Jauernig und Weidenau ab. Die Bahnstrecke hat bei Oberlindewiese ein beträchtliche Steigung zu überwinden. Sie macht deshalb dort eine große Schleife, die ihr den Namen "Schlesischer Semmering" eingebracht hatte.
Um beide Gemeinden zu erwandern, muss man wohl mit etwa zwei Wegstunden rechnen. Es waren also zwei Straßendörfer, die nicht wie durch einen Schnitt voneinander getrennt waren, sondern ineinander hineingewachsen waren. In Oberlindewiese teilte sich das Tal entlang des Straßenbaches und des Logenbaches. Diese beiden Bäche bildeten ab der Grenze gegen Niederlindewiese dann die Staritz, einen relativ kurzen, ca. acht Kilometer langen, Fluss, der sich in der nahen Kreisstadt Freiwaldau mit der Biele vereinte. In Niederlindewiese begrenzt im Norden der Hirschbadkamm mit dem 794 m hohen Fichtenstein das Tal. An seinen Hängen kletterten mühsam, aber wohlbebaute Felder empor, die sich im dichten Fichtenwald verloren. Von Lindewiese südwärts sah man die 1.351 m hohe Hochschar, den Hausberg der Lindewiesner. Dem Dorfe näher fanden wir den 912 m hohen Schneeurlich und den 781 m hohen Brandurlich. Im Süden von Oberlindewiese galt ebenfalls die Hochschar als Hausberg, davorgelagert war der sagenumwobene Ammichstein, ein zweigespaltener Fels, und im Norden grüßte die Nesselkoppe (823 m) sowie im Westen der Fichtlich (1.125 m).
Für Oberlindewiese war wohl der Wald, der ca. 80 % des Gemeindegebietes ausmachte, lange Zeit der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Erst später, als in Niederlindewiese, nahe der Grenze zu Oberlindewiese, die Glas-, später Armaturenfabrik, errichtet wurde, fanden darin viele Bürger beider Gemeinden ihren Broterwerb. Ebenso wurden in beiden Gemeinden an den Hängen des Hirschbadkammes mächtige Marmorblöcke dem Boden entrungen. Die Gemeinde Niederlindewiese war jedoch hauptsächlich durch die im Jahre 1840 vom damaligen Naturarzt Johann Schroth entwickelte Wasserheilkur weltweit bekannt geworden. Es ist eine Wasserkur mit dem Ziel eines gründlichen Stoffwechsels. Verschiedenerorts wird diese Kur heute, hautsächlich in Oberstaufen im Allgäu, weitergeführt. Die weit überwiegend katholischen Einwohner (insgesamt über 4.500) beider Gemeinden waren - auch mit ihren Ortsteilen - in der katholischen Pfarrei Lindewiese vereint.
Als im Jahre 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht gelangt waren, hat wohl keiner von uns geblaubt, dass auch unser Schicksal eines Tages von dieser Machtübernahme Hitlers beeinflusst würde. Als jedoch im Frühjahr 1938 der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich erfolgte, kamen manchem denkenden Menschen vielleicht die ersten Ahnungen, dass dies auch weitere Folkgen haben könnte. Der Jubel der Österreicher überdeckte aber manche Sorge diesbezüglich, und man glaubte wohl, dass damit ein Unrecht des Friedensvertrages von St. Germain (1919) wieder gut gemacht würde. Darin hatte man u. a. den Österreichern ihren Wunsch nach Anschluss an das Deutsche Reich verwehrt. Als Folge der Besetzung Östereichs mobilisierte die Tschechoslowakei ihre Truppen und verstärkte die Vertreidigungsmaßnahmen an der Grenze gegen Deutschland. Die damals gebauten Bunker kann man übrigens heute noch sehen. Im Sommer 1938 eskalierte die Sudetenkrise, und nach Abschluss des Münchner Abkommens holte die Wehrmacht im Oktober auch uns "heim ins Reich". Die meisten unserer Bewohner freuten sich, weil sie glaubten, jetzt kämen wieder Zeiten ähnlich denen im alten Österreich.
Als aber Hitler ein halbes Jahr später das Restgebiet der ČSR besetzte, bekam die Freude den ersten Dämpfer. Mancher glaubte jetzt, dass ein solcher Machthunger nicht gut gehen könne, was sich bereits ein halbes Jahr später mit dem Beginn des Krieges gegen Polen bestätigte. Und dies, weil die Polen die Ansprüche Hitlers auf einige, überwiegend von Deutschen besiedelte Gebiete nicht freigab. Dieser "totale" Krieg endete sechs Jahr später mit der bedingungslosen Kapitulation Deuschlands.
Dass ein solches Ende für uns nichts Gutes erbringen werde, war zu erwarten. Was dann aber tatsächlich auf uns zukam, hatte wohl niemand vorausgesehen...
Die Bevölerung unserer Heimatorte war bis zur Errichtung der ČSR im Jahre 1919 fast rein deutsch. Einer Chronik aus dem Jahre 1927 ist zu entnehmen, dass man 1919 "kaum einen tschechischen Zungenschlag im Ort gehört hat". In der Statistik der amtlichen Volkszählungen kann nachgelesen werden:
1806 | 1836 | 1869 | 1890 | 1910 | 1921 | 1930 | |
Niederlindewiese | 1.609 | 2.087 | 2.209 | 2.621 | 3.109 (6) | 2.916 (56) | 3.470 (293) |
Oberlindewiese | 854 | 1.311 | 1.228 | 1.382 | 1.339 (0) | 1.389 (16) | 1.554 (30) |
(in Klammern die Zahl der Tschechen)
Aus statistischen Unterlagen sind für das Jahr 1939, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, folgende Einwohnerzahlen zu entnehmen:
Ort | Einwohner |
Niederlindewiese | 3.290 |
Biberteich | 77 |
Oberlindewiese | 1.430 |
Ramsau | 187 |
Summe | 4.984 |